Thomas Basler

Acht sätze über das Zeichen

 

Manchmal bleiben Spuren zurück, irgendein Fitzelchen, irgendein Zeichen dafür, dass da etwas war, würde sagen, ein Anhaltspunkt, dass da, gerade weil da etwas war, noch immer etwas sein könnte, ein Zeichen für ein Ich, einen Sinnzusammenhang, irgendwas, doch, o weh, wenn keine Spur an das, was war, gemahnt, war da etwas oder nichts, so fragt sich dann, wer`s wissen will, und besinnt sich, ganz innen, wo das, was war, sich finden lässt, da Spur und Zeichen unfindbar, wache also kurz und gut auf, habe nämlich etwas geträumt, und zwar ging es da
um.

Es ging um.

Ging.

Grad diese Art von Sorgen hätt`s nun aber wirklich nicht gebraucht, denke, wo doch sonst schon nicht viel los ist mit Träumen - träume sonst nie oder habe, sobald die augen deöffnet sind, keinerlei Erinnerung, etwas geträumt zu haben, geschweige denn an irgendeinen Inhalt irgendeines Traums, was aber noch schlimmer ist, ist die zwanghafte, verzweifelte Suche nach der anderen Hälfte des qualenden Halbwissens, verspüre Ärger, im falschen Moment erwacht zu sein, wäre doch der Zeitpunkt des Aufwachens ein wenig anders gewesen, als der Zeitpunkt des Aufwachens tatsächlich war, zum Beispiel eine Millisekunde früher oder beispielweise zweieinviertel Stunden später - es bestünde die Chance, zu wissen, was vor dem Aufwachen war, mithin was das für ein Traum war, möchte die ganze Erinnerung haben, nicht nur den Schatten davon, nicht bloss erahnen müssen, was das für Ding sein könnte, das so einen Schatten wirft, möchte die Gewissheit haben, dass der briefträgervor der Tür gestanden hätte, also "Herr Briefträger, stehen Sie schon lange vor der Tür?", "Zwanzig Minuten", "Ist gar nicht lange", "Na ja", Was sind schon zwanzig Minuten, wenn wir bedenken, wie lange das Leben dauert, das Leben an sich, mein Leben, Ihr Leben, das Leben dewr Riesenschildkröte, das Leben des Universums, nicht wahr?", "Na ja",
"Ist der schöne Brief, den Sie da haben, etwa an Herrn Popelmann adressiert?", "Momentchen Geduld, nein, der Brief ist leider nicht an einen gewissen Herrn Popelmann adressiert, der Brief ist an eine gewisse Frau Piephahn adressiert, wenn Sie es genau wissen möchten", "Eine gewisse Frau
Piephahn wohnt aber nicht da, obzwar Popelmann und Piephahn verblüffend ähnlich klingen, da gibt`s schon mal Verwechslungen. Seien Sie mir nicht böse, aber das ist eine Fehlleistung, Herr Briefträger, eine interessante Fehlleistung obendrein. Sie lesen etwas ganz anderes, als was da zu lesen wäre, und sind absolut sicher, das Richtige gelesen zu haben,
obwohl ich Ihnen sagen muss, dass Sie geradezu das Falsche gelesen haben. Ich mache Sire dar auf aufmerksam: Der Brief gehört nach Neeseeland. es steht geschrieben:

(N-E-U-S-E-E-L-A-N-D)", "Wenn das so ist, dann empfehle ich mich jetzt", grad so, hätte alsdann geknobelt, hätte alsdann gegrübelt, hätte kurz und gut bestimmt, so ein Traum ist ein Zeichen, hätte folglich gesagt, ein Briefträger, ein Briefträger: bedeutet dies, Piephahn: bedeutet jenes, aber bin verdammt nochmal im falschen Moment aufgewacht, und je klarer alles sein sollte, desto schattenhafter entgleitet das Zeichen, und nun, kommt derselbe Traum wieder, war er schon da, derselbe Traum, und wenn der Traum als Zeichen für etwas anderes ungreifbar ist, kann dieses andere trotzdem greifbar sein, wie sollte es das sein können, wenn keine Erinnerung an den Traum als Zeichen auf das Eigentliche, vom Traum Dargestellte und also Stellvertretene verweist, der Traum ist gefangen, er ist irgendwie vorhangen als Möglichkeit und als fremdes Ding, von dem ich nun und - wie zu befürchten ist - fortan keine Ahnung habe, und wo ist der Traum während des Wachseins und wozu, fragt sich dann, wer`s wissen will.

Nanu.

Dazu!

Troili da Spilamberto, "Paradossi", Bologna, 1683.

Dass der Traum unerinnert ist, muss zum Zeichen selber gehören, es ist ebenso Zeichen, dass der Traum zwar da ist, aber gleichzeitig entschwindet, wie der Traum als Traum und also auch als Inhalt des Traums Zeichen ist, was sich plötzlich auftut, ist ein fiktionales Durchspielen von Möglichkeiten auf der Suche nach dem unerinnerten Traum als Zeichen, ist auch nicht schlecht, ist nicht nur sogar gut, ist noch besser gut, wenn ein erinnerter Traum nämlich eine Spur von vergangenen und somit alten Positionen ist, bezieht sich der unerinnerte Traum direkt auf die reaktion auf dieses Nichterinnern, und schon ist womöglich in dieser Geschichtslosigkeit ein sich nicht erinnerndes und deshalb unmittelbares Ich gefunden, der Typ, der sich nicht an den traum erinnert, der nicht mal wissen kann, geträumt zu haben, und der durch dieses verzweifelte Nichterinnern sich selbst wie zum erstenmal spürt, ist also ich, wie man sagen könnte: Der Typ dort im Spiegel, der so verwundert guckt, ist ich, ich hätschle also meinen kleinen gefangenen unerinnerten Traum, und - da das Ich nun gefunden ist, lässt sich einiges abwägen, zum Beispiel, ob die Überlegung, dass das, was nicht ist, nicht ist, nicht richtig ist oder doch, ist das Prosa, ist das Lyrik, ich Würde sagen, Prosaik, und ich denke, so Buchstaben sind eigentlich auch Zeichen und so Sätze sind auch Zeichen, und ich wäge ab.

Und bin very happy.

 

Вернуться